5- von Danzig nach Litauen

Man muss auch mal Glück haben im Leben. Toller Wind, super Sonne und noch gerade rechtzeitig das Verkehrstrennungsgebiet gekreuzt, als ein AIS-Alarm nach dem anderen auslöst wurde. Auf dem Plotter stand nur „NATO Warship“. Wie auf einer Perlenkette aufgereiht kamen die Kriegsschiffe aus dem Hafen, um in den Militärischen Sperrgebieten „Krieg zu spielen“. Gut das wir da durch gekommen sind. Für die nächsten Tage ist ja erst einmal kein Weiterkommen. So kamen die Keto und die Aphrodite in die Einfahrt nach Danzig und somit direkt am Ehrendenkmahl vorbei.

Die legendäre Danziger Werft
Denkmahl Westerplatte

Die Augen wurden mir feucht und ich hätte so losheulen können, als ich an dem Denkmahl Westerplatte zur Ehrerbietung meine deutsche Flagge dippte (kurz einholte). Dies ist bei deutschen Segler Brauch, der das Gedenken an die vielen Millionen Toten und die unglaublichen Leiden von abermillionen Europäer, ausdrücken soll. Hier wurde durch Schüsse des deutschen Kriegsschiff auf die polnische Garnison am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg ausgelöst und hat damit unfassbares Leid in jede Familie Europas und somit auch in meine gebracht. Wir müssen alle ganz genau hinsehen und handeln, damit so etwas nie wieder passieren kann.

Am Danziger Hafen trifft Moderen auf die Hanse

Die wunderschöne Stadt ist nach seiner Zerstörung wieder im historischen Stil aufgebaut worden und es geht im schnellen Tempo weiter. Am Rande des Zentrums werden interessante und dem Hansestil nachempfundenen Neubauten gebaut. In dieser Innenstadt zu flanieren und in dem riesigen Angebot an Restaurants und Kneipen zu entgehen ist nicht möglich. Zumal die Preise sehr moderat sind und die Leistung sehr hoch. Viele Schulklassen treffen ich und ältere deutsche und niederländische Touristen. Die Chinesen haben Danzig wohl noch nicht entdeckt. Sehr freundliche Menschen, toller Flair und sehr preiswert, das sind Attribute, die ein Abschied schwer machen.

Aber es muss sein und mein Weg führt mich durch den Arm der „Toten Weichsel„ nach Gorki Zachodnie. Die riesenhaften Frachter und die Brücken waren die Herausforderung des Tages. Die Durchfahrtshöhen unterschieden sich von Seekarte zum Plotter schon sehr extrem. Also den Mast zum Niederholen vorbereitet. Dann gewann der Plotter mit einer Höhe von 7,5 m, denn die alte Eisenbahnbrücke gab es nicht mehr. Nachdem der Mast wieder stand, war es eine erholsame und romantische Flussfahrt. Der Vereinshafen Neptun wurde mir mit Recht empfohlen, denn der deutsch sprechende Hafenmeister empfing mich schon und nahm die Leine an. Gemütlich ist es hier mit einer tollen Aussicht auf das Segelgebiet Tote Weichsel. Hier traf ich die Keto wieder, die durch die Danziger Bucht den Weg gefunden hatte. Am Abend musste dann das erst Mal das Mückennetz herhalten.

Hafen Gorki Zachodnie am Frischen Haff

Unser gemeinsamer Ausklarierungstermin 5 Uhr morgens verschob sich, weil sich die Zöllner noch auf einer Patrouille befanden. Dann dauerte es noch recht lange mit den Formalitäten, so dass wir erst um 6 Uhr ablegen konnten. Der Wetterbericht sagte zunehmende Winde an und daher war die Verzögerung für einen entspannten Segeltag nicht förderlich. Kaum war ich in das polnische Sperrgebiet hinein gesegelt, was nach Navtex freigegeben war, meldete sich die polnische Verkehrssicherung. Mist dachte ich, jetzt muss ich doch einen riesigen Umweg segeln. Aber nein, sie wollten meine Position bestätigt haben und wünschten mir einen guten Törn nach Baltijsk. Jetzt achtet also noch jemand auf mich. Es brieste ziemlich auf und es wurde Zeit das Großsegel zu reffen. Die Wellenhöhe wurde schon sehr unangenehm und mein Versuch die Selbststeuerung zu bemühen scheiterten, weil sie dem Aussteuern der Wellen nicht gewachsen war. Also ein 10 Stundenritt ohne Pause mit einem sagenhaften Geschwindigkeitsrekord von 19,3 Knoten. Unglaublich, aber die Log lügt nicht und ich hatte manches Mal das Gefühl nur die Spitze des Kiel und das Ruder waren nur noch im Wasser. Das erforderliche Anmelden bei Baltijsk Traffic mit dem Funkgerät war mir unter diesen Umständen garnicht möglich. Den Fischertrawler und großen Tanker auszuweichen musste ich so bewältigen. Als ich dann auf die vorgeschriebene 90 Grad Zufahrt auf die Hafenmole steuerte, nahm ich das Handfunkgerät zur Hand und wurde begrüßt und der Zollsteganlage zugewiesen. Hier kam endlich Ruhe ins Schiff, aber nicht lange, denn es wollten insgesamt 6 Zollbeamte und ein Schäferhund an Bord kommen. Ging natürlich nicht. Daher in Etappen. Der Hund blieb erst nach langen beruhigenden Worte seiner Halterin an Bord und suche vergebens nach  Rauschgift. Alles wurde auf Links gedreht und fotografiert, aber sehr höflichen und mit Respekt. Dann kamen zwei recht korpulente Zöllner und wollten einen Tisch haben. Der eine kam kaum mehr aus den Sitzen der Aphrodite heraus, nachdem ich zweimal eine Erklärung ausfüllen musste. Der zweite Grenzer kontrollierte noch einmal alles und stempelte dann mehrfach die Zettel ab.

Zolldokument

Geschafft – nur bleiben darf man hier nicht und muss sofort weiterfahren. Das ist nur unter Maschine erlaubt. Also müsste Heini ran, um uns durch die schräg von hinten kommenden Wellen 2,5 Stunden durch den Kanal zum nächsten Hafen zu schaukeln. Das uns mehrfach große Frachtschiffe überholten war nicht gerade förderlich. Aber wir haben es geschafft in den Hafen „Hydekrug“ zu kommen. Und nach Diskussion mit dem Hafenmeister konnten wir bleiben. 20 Euro pro Nacht sagte er. Ein Dixiklo, eine aus einem alten Dixiklo gezimmerte Dusche, kein Trinkwasser, drei freilaufende Schäferwachhunde und Strom waren im Preis inbegriffen. Was hat mich bloß geritten hierher zu kommen, drängte sich mir als Frage auf. Völlig durchgefroren und mit den Kräften am Ende, wurde ich aber von Anke von der Keto zum Nudelessen eingeladen. Satt kam ich dann langsam und mit einigen Gläschen Wein wieder runter. 

Hafen „Hydekrug“ bei Wismorje

Der nächste Tag war dem Erkunden von Königsberg vorbehalten. Es war schön, sehr spannend und eine völlig andere Erfahrung für mich. Ich konnte nichts verstehen, nichts lesen und das Verhalten der Menschen nicht einordnen. Ich kam mir vor wie auf einen anderen Stern ausgesetzt. Super spannend die Geräusche und Gerüche dazu wahr zu nehmen. Das mitgebrachte Wörterbuch half sehr wenig, wenn man die kyrillischen Buchstaben nicht kennt.

Kaffeeverkauf in Kaliningrad
Bus nach Kaliningrad

Das fing mit der Busfahrt schon an. Der Busfahrer schaute mich grimmig an und wollte mein Geld nicht annehmen.
Als ich im modernen Reisebus platz nahm, kam eine Schaffnerin im Kittel auf mich zu und kassierte 55 Rubel (ca. 80 Cent) und gab mir mehrere Abschnitte. Die Sonne schien und es zeigte sich immer mehr Zivilisation und die Schönheit der Stadt. Es ist sehr warm und an jeder Ecke gab es für mich etwas Neues zu entdecken.
Im Königsberger Dom konnte ich ein Konzert besuchen. Auf der riesigen Orgel wurden mir bekannte Stücke gespielt, die auch die Klangfülle des Instruments sehr gut darstellte.  Man, war das ein Bass, der sicher auch zu den Rissen im Putz der Decke beitrug.
Den öffentlichen Nahverkehr haben wohl die Russinnen sich als Berufung  gewählt. Als ich an der Fußgängerampel wartete, die alle die Zeit bis zum nächsten Wechsel anzeigen, kam eine abgewrackte Straßenbahn auf maroden Schienen vorbeigewackelt. Sie wurde gefahren von einer jungen, gutgeschminkten, grünhaarigen Fahrerin, gefolgt von einem O-Bus, den ich sage mal eine stolze dem Rentenalter nahe Russin fuhr.

Dann kam der Samstag, der Tag des Kalingrader Segelclub. Der Hafenmeister lud uns zum anschließend Mittagsmahl ein. Die Regatta hatte wohl mehr das Ziel ein Fest zu feiern. So war am frühen Nachmittag das Vereinszelt voll und es gab Fischsuppe aus einem Hordentopf über dem Feuer zubereitet. Dazu lagen geräucherte ?-Fische, riesengroß und köstlich bereit, sowie literweise Bier. Der ein oder andere Wodka wurde anschließend auf die russisch-deutsche Freundschaft getrunken. Wir bekamen auch Regatterpreise, obwohl wir nicht mitgesegelt waren. Wahrscheinlich wurde extra eine Klasse für die Deutschen eingeführt und zeigt die herzliche Gastfreundschaft der Russen, die sich auch redlich bemühten mit uns ins Gespräch zu kommen. Nach dem x-ten Wodka wurde auch alles viel verständlicher und herzlicher. Gut das der Sonntag noch zur Erholung dienen konnte, da das Wetter zum weitersegeln ungeeignet war.

Nach der Regatter im Hafen „Hydekrug“

Dann kam der Tag des Ablegens für den langen Schlag nach Litauen. Das er so lang wurde, hatten wir, dies sind die Besatzung der Keto (Anke, Carsten und Paul der Labrador) und ich, nicht im Entferntesten erwartet. Es sind dann 22 Stunden und 105 Seemeilen draus geworden. Aber der Reihe nach. Um 6:30 Uhr ging es dann gegen Wind und Welle bei Nieselregen drei Stunden unter Motor nach Baltijsk (Pillau). Ich hatte ja schon die schlimmsten Befürchtungen, als ich das Aufgebot von Zöllnern sah. Er wurde aber nicht wieder alles auf Links gedreht, aber die Formalitäten wurde strickt durchgezogen. Alles freundlich und mit ein paar deutschen Worten aufgelockert. Trotzdem dauerte es eine Stunde und selbst Paule fand es zum Gassigehen nicht einladend.

Zoll in Baltiysk

Dann mal los. Anfangs  noch mit gerefftem Groß und nicht ganz geeigneten Gennakerkurs schifftet ich zum Kap Brüsterort. Den Russischen Name kann ich nicht aussprechen denn geschweige schreiben. So gegen 15 Uhr ging es dann auf direkten Kurs nach Memel (Klaipeda) in Litauen. Der Plotter gab 60 Seemeilen an und mir wurde mulmig. Ich hatte jetzt schon acht Stunden in den Knochen und es gibt kein Ausweichen oder Abbrechen, denn die einzige Alternative wieder zurück nach Baltijsk kam nicht in Betracht. Also los. Die Sonne versüßte den Schlag in den Abend aber der Wind und auch die Wellenhöhe nahmen stetig zu. Irgendwann musste ich mich entscheiden, wenn der Wind um die 15 Knoten so weiter weht, wo ich jede Welle aussegeln muss, dann bin ich in ein paar Stunden fix und fertig. Ich entschied mich den Gennaker zu bergen. Da der Wind noch stärker wurde, war dies sowie so die einzigen Alternative und ging gründlich schief. Einrollen und die Wellen aussegeln geht nicht, das weis ich jetzt auch. Also hatte sich der Gennaker um das Vorstag gewickelt und blockierte auch noch das Fockfall. Der GAU, also Beiliegen ging auch nicht mehr. Es blieb nichts übrig, also rauf auf das Vorschiff und unter hohen Strapazen alles enttucken. Das ich gelegentlich von einer Welle überspült wurde hake ich einmal als Abkühlung ab, denn mir wurde schon recht heiß in den Segelklamotten. Das Tuch zog sich dann auch noch unter das Schiff. Katastrophe und viel Arbeit unter schaukelnden Bedingungen, angeleint, aber den Wellen frei ausgesetzt. Da holte die Keto auf und hinterließ bei mir ein Gefühl: Da holt dich Gottseidank jemand aus der eiskalten Ostsee, wenn es schief geht. Ging es nicht, aber der klitsche nasse Gennaker lag jetzt vertüttelt in der Kabine. Ab jetzt ging es nur noch mit der Fock weiter. Dann hatte der Wettergott auch keine Lust mehr und der Wind wurde so auf 5-8 Knoten zu wenig, um gegen die Wellen anzukommen. Also musste HEINI ran und stütze den Kurs.

Es kamen Bohrplattformen und später Tonnen in Sicht, die weder die Seekarten noch der Plotter kannten. Das Ganze in russischen und litauischen Schießgebieten macht jedenfalls nicht müde. Als dann Anke über Funk noch etwas von versenkter Munition erzählt, war ich wieder hell wach. Am frühen Morgen ging die Sonne ganz langsam auf, eine Stimmung, die man nur nach diesen Strapazen so richtig nachfühlen kann. Irgendwann war die Hafeneinfahrt von Klaipeda zu sehen und es dauerte noch drei Stunden bis wir auf den brechenden Wellen endlich im ruhigem Gewässer angekommen waren. Die chaotischen Wellen entstehen dadurch, da noch bis fast vor der Einfahrt die Ostsee 40m Tiefe hat und die Mündung aus dem Kurischen Haff mit 3 Knoten einfällt. Durch  ein paar deftigen Ansagen von der litauischen Küstenwacht zu meiner Funkdisziplin gelang es dann doch noch unter strömenden Regen die Zollformalitäten bei zwei hübschen und freudlichen Zöllnerin auf der Keto durchzuführen. Auf die Aphrodite hätte ich sie nicht einladen können, so wie sie unter Deck aussah. Aber es war wieder ein fast stündlicher Staatsakt, den ich nur sehr mühsam noch schwankend ertragen konnte. Endlich im Hafen angekommen kam die Anmeldung beim Hafenmeister und Brückenwärter und ich konnte dann um sieben Uhr mein Frühstücksbier geniessen. Nee, nicht so richtig, denn dann lag ich schon in der Koje und danke, dass alles wieder einmal so glimpflich abgelaufen war. Und nun kamen die schönen Eindrücke des Tages herauf und die Frage was erlebe ich wohl in Litauen.

Na, in diesem Hafen bin ich richtig. Als aus dem Radio vom örtlichen Sender noch Musik von Pink Floyd bis lateinamerikanischen und Bigband Jazz gespielt wurde fühlte ich mich fast heimisch. Die Stadt Memel (Klaipeda) hat jetzt nicht so viel zu bieten, trotzdem legen hier Kreuzfahrtschiffe an. Eigens dafür wird dann ein Handwerkermarkt in der Stadt veranstaltet, der sich nach dem Ablegen des Schiffs wieder in Luft auflöste.

Kreuzfahrtterminal in Klaipeda

Aber die Kurische Nehrung muss man gesehen haben. Daher bin ich mit der Fähre rüber und mit dem Bus nach Nidda gefahren. Tolle Eindrücke konnte ich gewinnen und nun verstehe ich auch warum Thomas Mann so fasziniert von dieser Kurischen Nehrung war.

Die Düne von Nida
In Nida malen die Einwohner um die Wette